Wir können uns die Jubiläen nicht aussuchen – oder?
Jedes Jahr von Neuem werden große Persönlichkeiten
und Ereignisse öffentlich gefeiert. Jahrestage bestimmen
hierzulande die kulturelle Agenda. Die Kulturarbeit
ist so immer wieder aufgefordert, für diese Anlässe
unterschiedliche Veranstaltungen und Formate zu entwickeln.
Doch ist jedes Jubiläum eigentlich eine Feier
wert.
Im vergangenen Jahr veranstalteten der Studiengang
Kulturarbeit und der Fachbereich
Design an der FH Potsdam
über zwei Semester ein forschendes Lehrprojekt
zum Thema »Literatur visualisieren und vermitteln«.
Es ging der Frage nach, was die Generation der heute
Studierenden an Fontane interessiert und warum
man ihn heute noch lesen soll. Als Antwort darauf entwickelten
die Studierenden eigene Ansätze für seine
Vermittlung. Die Ergebnisse sind ab 12. Juli im Haus
der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in
Potsdam zu sehen.
Zur Eröffnung am 11. Juli um 19:00 Uhr sind Sie herzlich eingeladen.
Haus der Brandenburgisch-Preußischen
Geschichte
Am Neuen Markt 9, 14467 Potsdam
Öffnungszeiten:
12. Juli – 29. September 2019
Di – Do: 10:00 – 17:00 Uhr
Fr – So + Feiertage: 10:00 – 18:00 Uhr
Mo: geschlossen
Eintritt frei
Bereits im Wintersemester 2017/18 begann an der
FH Potsdam die Auseinandersetzung mit Theodor Fontane und dem nahenden Jubiläum: Was ist für die Generation der heute hier Studierenden interessant an Fontane, kann man den Autor überhaupt noch lesen, und was wären eigene studentische Vermittlungsansätze im Fontane-Jahr 2019?
Im Seminar »Make Fontane Great Again!« erarbeiteten und dokumentierten wir unsere Annäherungen an den Autor. In jeder Woche entstand eine Ausgabe des TF-Magazins.
Das Werk von Theodor Fontane ist ziemlich umfangreich und vielfältig. Neben den bekannteren literarischen Werken – vor allem den Frauenromanen, aber auch den »Wanderungen« und dem Stechlin, hinterließ er auch noch ein großes, journalistisch geprägtes Werk, Reiseberichte, Kriegstagebücher, Theaterkritiken etc., sowie Lyrik und zahlreiche Briefe.
Dieses Werk stellten sich die Teilnehmenden des Seminars an einem Frühlingstag auf unserer Exkursion gegenseitig vor. Jede*r hatte genau drei Minuten für einen selbst gewählten Text. Was erleben wir, wenn wir Fontane heute lesen? Was ist spannend, was wiederholt sich, was bleibt einmalig, was erzeugt Langeweile?
Können wir uns in die Frauenfiguren aus
Fontanes Romanen hineindenken, in ihre Rollen schlüpfen? Die Arbeit »Hiraeth« (walisisch, unübersetzbar für eine bestimmte Art von Sehnsucht nach der verlorenen Heimat
oder einer romantisierten Vergangenheit) spielt mit der Identität dieser Frauen und ihres Gegenübers. Sie versucht, sich hinter den Konventionen in ihr Innenleben hineinzuversetzen. Die Frauenbilder werden modernisiert, interpretiert und in neue Zusammenhänge gebracht.
Die Protagonist*innen in Fontanes Romanen reiben sich an einem Außenleben, das ihr Innenleben zerstört. Die Expression, die Auseinandersetzung und die Verarbeitung von Gefühlen, Wünschen oder Ängsten ist in der damaligen Gesellschaft, in der die Romane spielen, nicht gestattet. Eine Folge dessen ist die Entfremdung. Fremdheit kann sich auf soziale, kulturelle, ethnische und familiäre Aspekte beziehen, oder auf ein Fremdheitsgefühl im eigenen Ich. Genau dort setzt die Fotoserie »Atem« an. Über das Zulassen.
Zu heiraten, eine gute Partie zu finden, ist eines der wichtigsten Ziele für die Figuren in Fontanes Romanen. Doch frei wählen konnten die Figuren meist nicht.
Was, wenn sie sich selbst aktiv auf die Suche nach Mr. oder Mrs. Right machen könnten?
Wie würden sie sich heute darstellen, um begehrt zu werden, um Liebe, Geborgenheit und Bestätigung zu finden? Die Kontaktanzeigen bestehen aus Fragmenten von Beschreibungen einzelner Charaktere aus Fontanes Romanen. Hätten sie auch auf diese Weise zueinander gefunden?
Ballsituationen sind in Fontanes Romanen eine bedeutsame Randerscheinung. Sie markierten für junge Frauen den Übergang vom Kind zu einem vollwertigen Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, vom unbeschwerten Dasein hin
zu einem Leben voller Verpflichtungen als Ehefrau, Hausfrau und Mutter. Diese Denkweise lassen junge Frauen von
heute meist hinter sich. Auf Abschlussbällen zelebrieren sie ihren Start in ein selbstbestimmtes Leben. Sie feiern das Erwachsenwerden und ihre neu erworbene Unabhängigkeit.
Die Frauen in Fontanes Romanen ereilt ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Dabei gelingt es ihnen nur bedingt, eigene Entscheidungen zu treffen. Meist liegt ihr Leben in der Hand von äußeren Umständen und männlichen Protagonisten.
Wie in den Romanen können die Figuren ihrem Schicksal auch in diesem Spiel nicht entfliehen, sondern es lediglich hinauszögern. Die letzte Frau, die noch am Leben ist, gewinnt das Spiel. Aber am Ende sind alle tot.
Die Themen vieler Fontane-Romane wirken auf den ersten Blick so altmodisch wie die meisten Buchumschläge. Doch bei genauerem Hinsehen sind seine Romane und die in ihnen verhandelten Rollenbilder und Geschlechterkonstellationen hochaktuell. Die neuen Buchumschläge, entwickelt für die schmucklosen Reclam-Formate, bieten eine aktuelle Kontextualisierung seiner Romane. Die Titel und Bilder stehen auf den ersten Blick im Kontrast zueinander und legen so den Fokus auf Themen, die auch heute noch einen Stich versetzen.
Das wohl bekannteste Zitat aus Effi Briest, inzwischen eher eine Redewendung, war Inspiration für dieses Spiel. Auf zahlreichen Fahrten durch Brandenburg entstand eine Fotosammlung von Feldern und Landschaften. Wirken sie auf den ersten Blick vielleicht monoton, so unterscheiden sie sich doch in Details. Jedem Feld wohnt seine eigene Schönheit und Faszination inne.
Das Spiel lädt ein, den Blick für Landschaften
zu schärfen, sich zu erinnern und Gemeinsames und Unterschiedliches, aber vor allem das Besondere zu finden.
»Theodor Fontane wäre heute AfD-Mitglied«. Mit diesem Slogan betrieb die AfD 2016 Wahlkampf in Brandenburg. Fontane befasste sich selbst mit der Region Brandenburg undmit seinem Verständnis von Heimat. Aber was bedeutet das eigentlich, »Heimat«? Diese kritische Recherche setzt offene Definitionen von »Heimat« zu Fontanes Heimatbegriff in Beziehung und fragt, warum er heute so leicht von rechtspopulistischen Strömungen vereinnahmt werden kann.
Was löst ein Ort, eine Szenerie in einem Menschen aus? Wie haben sich Landschaft und Bewohner*innen über 200 Jahre hinweg verändert? Finden wir heute noch das Landleben, das Fontane damals skizzierte? Die Installation erkundet die subjektive Beziehung zwischen Umgebung und Person und verortet Fontane so im Hier und Jetzt. Im Mittelpunkt stehen Orte, die Fontane in seinen Romanen beschreibt. Die Grenzen zwischen Fontanes Aufzeichnungen und Heute verschwimmen.
Heimat, so eine mögliche These, ist ein Prozess der Aneignung, der eine ständige Veränderung anerkennt. Das Erkunden einer Umgebung kann Beheimatung schaffen. Auch Fontane beschäftigte sich mit der Praxis des Wanderns, die wir mit dem Format des Drifts aufgreifen. Driften ist ein gemeinsamer Akt, ziellos wandernd öffentliche Räume zu erschließen. Die Mitglieder der Gruppe hören einen synchronisierten Soundtrack und führen einander.
Geh mit uns den Beheimatungen von heute
und zu Fontanes Zeiten nach!
Sind die einen schnell gelangweilt von Fontanes ausschweifenden Beschreibungen, so genießen die anderen eben diese bei ihrer Lektüre am meisten. Bei dieser digitalen Ausgabe von »Grete Minde« können wir selbst entscheiden, was und wie viel wir davon lesen möchten. Durch das Betätigen
der Schiebe-Regler variiert der Text in seiner Fülle inhaltlich relevanter oder sprachlich besonders interessanter Passagen. Die Leser*innen erhalten einen neuen, gekürzten und gefilterten Text – ein Experiment auf dem Weg zum individualisierten Fontane.
zur Website
Raus aus den Museen und Klassenzimmern und rein in den Brandenburger Alltag! Wir kleben Fontane an Wände und Türen, verbreiten ihn im Land.
Die Aufkleber zeigen Gedichte von Fontane – neu zusammengesetzt. Ausgelegt an öffentlichen Orten gehen sie auf Wanderschaft und gelangen in den öffentlichen Raum. So eignen wir uns Fontane wieder an, einen Fontane,
wie er uns gefällt. Die zugehörige Website bietet die Möglichkeit, sich selbst mit den tatsächlichen Fontane-Gedichten vertraut zu machen.
zur Website
Fontane selbst hat Texte selten von vorne nach
hinten, sondern eher diagonal, querbeet oder ganz anders gelesen und sich dabei immer wieder einzelner Ausschnitte für seine Romane bedient. Mit dieser »Grete Minde« Ausgabe machen auch wir Vorschläge zu ungewohnten Lesetechniken. Jedes Kapitel schlägt eine alternative Lesart vor.
Wir begreifen den Roman als Experimentierfeld, das dazu einlädt, sich dem Text auf verschiedene Weisen zu nähern und so mit herkömmlichen Lesegewohnheiten zu brechen. Auf diese Weise entsteht eine Collage des Romans aus 20 verschiedenen Übersetzungen.
Aurélie Karadjov, Clarissa Lütz, Laura Straub, Rebekka Rinner und Verena Thaller
Aurélie Karadjov
Laura Straub
Clarissa Lütz und Rebekka Rinner
Jan Vincent Dufke und Verena Thaller
Elisa Bischoff, Helena Brune, Lili Helena Duchow, Jan Vincent Dufke, Charly Hall, Clara Jansen, Moira Berit Joachim, Aurélie Karadjov, Hee-ji Kim, Jana Klimmek, Clara Köhler, Nicole Krüger, Meera Lehr, Amelie Lill, Clarissa Lütz, Albina Maks, Nicole Nguyen, Benjamin Reissing, Rebekka Rinner, Carmen Scheuring, Amely Sommer, Verena Thaller und Daria Thies
Re-Designing Theodor Fontane.
Ein forschendes Lehr-Projekt im Rahmen
des Themenjahres fontane.200/Spuren –
Kulturland Brandenburg 2019.
Gefördert vom Forschung- und Entwicklungsfonds der Fachhochschule Potsdam.
Kulturland Brandenburg 2019
wird gefördert durch das Ministerium
für Wissenschaft, Forschung und Kultur sowie das Ministerium für Infrastruktur und
Landesplanung des Landes Brandenburg.
Mit freundlicher Unterstützung
der brandenburgischen Sparkassen.
Mit freundlicher Unterstützung der
Investi-
tionsbank des Landes Brandenburg.
Kulturland Brandenburg 2019 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke.
Prof. Nicola Lepp, Kultur und Vermittlung
Prof. Franziska Morlok, Redaktionelle
Gestaltung
Michael Annoff, Kultur und Vermittlung
Prof. Wiebke Loeper, Fotografie
Prof. Dr. Marian Dörk, Informations-
visualisierung